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Worte des Performers:



Guten Tag! Vielen Dank, dass Sie jetzt hier sind. Ich bin Igor Shugaleev, ein unabhängiger Schauspieler und Performer aus Belarus.

Heute sehen Sie das Projekt "375 0908 2334, the body you are calling is currently not available”. Im Projektnamen, in dieser Zahlenkombination, die an eine Telefonnummer erinnert, ist ein Sinn versteckt:

375 – Ländervorwahl von Belarus

0908 – das Datum der Präsidentschaftswahl, die zynisch von der Regierung falsifiziert wurde. Die Unzufriedenheit mit den Wahlergebnissen mündete in einer revolutionären Protestbewegung, die bis heute aktiv ist.

2334 – Artikelnummer des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Verstoß gegen die Ordnung der Organisation oder Durchführung von Massenveranstaltungen). Seit August 2020 wurden mehr als 40 000 Belarussen und Belarussinnen auf Berufung auf diesen Artikel verurteilt.

Ich bin Bürger eines Landes, wo seit 1994, das sind bereits 29 Jahre, der gleiche Präsident an der Macht ist.

Die Unzufriedenheit mit der Unersetzbarkeit dieser Herrschaft und, als finaler Auslöser, eine dreiste Falsifizierung der Präsidentschaftswahlen führten zu einem bürgerlichen Massenprotest. Die Regierung zeigte eine unbegründete Aggression um die Proteste niederzuschlagen.

Vom 9. bis zum 13. August geschah eine wahre Eskalation der Gewalt seitens der Sicherheitskräfte gegenüber der friedlichen Demonstranten. Ereignisse dieser Tage erinnerten ohne jegliche Übertreibung an einen Krieg: es war angsteinflößend sich auf der Straße zu befinden (aber wir waren dort) oder nachts nach Hause zu gehen.

Am ersten Tag der Massenproteste, ca. ab 18 Uhr, hat die Regierung das Internet abgestellt. Die vollständige Information über die schrecklichen Ereignisse in ganz Belarus haben wir erst am nächsten Tag erhalten, als das Internet wieder da war.

Seit den ersten Tagen der Massenproteste veröffentlichten Zeugen und unabhängige Medien Video- und Fotoaufnahmen der unbegründeten, übertriebenen Gewalt gegen Demonstrierende und zufällige Passanten. Festgenommene haben nach ihrer Entlassung berichtet, wie sie  bei der Festnahme, während des Transportes und im Isolationszentrum verprügelt wurden.

Demonstrierende haben über schwere Verletzungen berichtet, unter anderen von speziellen Waffen: Gummimunition, Blendgranaten, Elektroschocker. Unter solchen Verletzungen - Knochenbrüche, Schädeltrauma, Gehirnerschütterungen, Verletzungen innerer Organe und andere.

Es gab auch Tote.

Neben der physischen Gewalt gab es einen starken psychischen Druck: Drohungen mit längeren Haftstrafen, physischer Gewalt und Vergewaltigungen, Ignorierung der Hilferufen nach medizinischer Hilfe.

Die Awtosaks, Gefangenentransporter  - waren überfüllt, die Verhafteten wurden in doppelten Reihen platziert. Die Inhaftierten wurden mehrere Stunden lang in einer Pose festgehalten und wurden bei jedem Geräusch und bei jeder Bewegung geschlagen.

Die Inhaftierten haben mehrmals über sogenannte “Empfangsreihen” in Isolationszentren berichtet, wenn die Neuankömmlinge durch zwei sich gegenüber stehende Reihen von Streitkräften durchgehen mussten und dabei geschlagen wurden.

Die Gefängniszellen waren überfüllt: in einer Zelle mit einer Größe von 5x6m befanden sich von 50 bis 100 Menschen. Die Inhaftierten wurden in unhygienischen Zuständen festgehalten, ohne Nahrung und Wasser.

Während die Inhaftierten geschlagen wurden, wurden sie gezwungen "Ich liebe OMON (Polizeisondereinheit)" zu rufen, belarussische Hymne zu singen, zu beten, wurden gefragt "Wer der beste Präsident auf der Welt ist?", "Ob sie eine Anzeige wegen Körperverletzung erstatten werden".

Die Anwohner der Häuser neben den Isolationszentren haben über nächtliches  Geschrei und Gejammer aus den Zellen berichtet.

Nach dieser Flut von erschreckenden und schockierenden Nachrichten, Posts, Interviews, Videos, die man gesehen hat, als die Internetverbindung wieder da war, war ich einerseits erleichtert, dass ich diese Nacht überlebt habe und nicht zum Protagonisten dieser traurigen Berichterstattung wurde. Aber andererseits machte ich mir große Sorgen über die, die ich morgens nicht erreichen konnte.

Die Mailbox-Stimme "The party you are calling…" hat Angst gemacht: der Angerufene konnte auch inhaftiert worden sein.

Am 13. August änderte sich die Strategie des Protests - dank der FRAUENMÄRSCHEN tagsüber - wurde der Massenprotest prinzipiell GEWALTFREI und FRIEDLICH. In den nächsten Tagen wurde es in der Stadt sicherer.

Friedliche Protestierende haben alle Straßen besetzt. Man hatte das Gefühl, dass alles nach ein Paar Tagen vorbei sein würde. Das war eine wahrhafte Euphorie der Einheit.

Viele von uns haben eine kraftvolle Erfahrung erlebt: Mischung aus Freude über die Einheit und Schreck von gestrigen Nachrichten. Manchmal hatten wir das Gefühl, dass wir kein Recht haben uns zu freuen, als ob unsere Freude die unmenschliche Behandlung der Inhaftierten abwerten würde.

Dann stellte ich mir eine Frage: wie kann ich das, was gestern war, nicht vergessen?

Am 14. August verabredeten wir uns mit Freunden, dass wir die Nachrichten der ersten Tage immer wieder aufs Neue lesen werden, damit wir uns nicht dem Kampf entziehen.

Genauso wichtig war die Frage: was kann ich in meinem Beruf machen, damit der Protest vorangetrieben wird.

Diese Fragen kümmerten mich umso mehr, als ich aufgrund von Bedrohung meiner Sicherheit, das Land verlassen musste. Im Ausland empfand ich ein starkes Gefühl der Schuld - wie es sich später herausstellte - eine sehr aktuelle Frage für viele Belarussen und Belarussinnen.

Belarussen und Belarussinnen im Ausland haben Schuldgefühle gegenüber denjenigen, die in Belarus sind. Die, die in Belarus sind, haben Schuldgefühle gegenüber deren, die täglich protestieren. Die, die protestieren - gegenüber deren, die festgenommen wurden. Die, die festgenommen wurden - gegenüber deren, die schlagen wurden. Schließlich die, die geschlagen wurden, fühlen sich gegenüber deren schuldig, die nicht überlebt haben oder schwer verletzt wurden. Nach seinen Eigenschaften ähnelt dieses Gefühl dem “Überlebensschuld-Syndrom". Den Begriff haben zum ersten Mal Psychologen während ihrer Arbeit mit Holocaustüberlebenden beschrieben.

All diese Fragen und Ereignisse haben sich in der Performance resultiert, die Sie heute sehen werden.

Zeit ist eins der Hauptprogagonisten hier. Aber nur ich entscheide, welche Pose ich einnehme und für wie lange. Heute wird die Performance genau 1 Stunde dauern.

Ich habe den Countdown gestartet, aber diesen sehen nur Sie. Im Unterschied zu mir können Sie die Zeit sehen und einschätzen wann die Performance zu Ende sein wird.

Sie können sich frei im Raum bewegen, mit mir kommunizieren, wenn Sie möchten, und jederzeit (und für jede Zeit) die gleiche Pose einnehmen, wie ich. Sie können Zeugen oder Teilnehmende meiner Performance werden.

Ich möchte Ihnen ein Video von 12. August zeigen. Auf diesen Aufnahmen sind Ereignisse festgehalten, die sich in der Verwaltung für innere Angelegenheiten in Frunzenskij region der Stadt Minsk abgespielt haben.

Nach den Zeugenaussagen, hat der Zeuge in dieser Pose 4 Stunden verbracht.

Ich sehe das als eine Geste der Verbundenheit mit allen, die von der Gewalt des Regimes betroffen sind. Ich und das gesamte Projektteam haben diese Performance ins Leben gerufen um die Gewaltopfer finanziell zu unterstützen - wir haben ein Konto bei der Stiftung HUMANOSH eröffnet. Das ist eine Stiftung, die Menschen in Belarus hilft, die zu Opfern der Repressionen wurden. Sie können den QR-Code auf der Homepage für ihre Spende verwenden, wenn Sie möchten.

Gewalt und Folter in Belarus hören bis heute nicht auf: in Gefängnissen, in Untersuchungsausschüssen,  auf den Straßen.



Project page:



marinadashuk.art/body

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